Mondlandung: Hanauer Reflektoren - Beweis, dass Astronauten oben waren

2022-06-25 09:22:52 By : Ms. Cindy Lan

Von: Pamela Dörhöfer

Seit 50 Jahren steht der von der Hanauer Firma Heraeus gefertigte Luna-Laser-Reflektor auf dem Mond.

Es muss eine Szene wie aus einem Agentenfilm gewesen sein: Zwei Herren in dunklen Anzügen treffen sich am Airport New York. Einer von ihnen ist Deutscher, Angestellter der Firma Heraeus aus Hanau. Gerade ist er mit dem Flieger aus Frankfurt gekommen. In New York ist es 1969 üblich, dass Passagiere nach der Landung mit Bussen zum Flughafengebäude gebracht werden. Der Mann steigt die Treppe hinab und bewegt sich dann langsam Richtung Bus; in der Hand hält er eine mittelgroße Tasche. Auf dem Weg dorthin erwartet ihn der andere Mann, ein Amerikaner. Sie sind einander vorher noch nie begegnet, ihr Erkennungszeichen ist ein Tuch am Revers. Sie heben beide kurz den Arm, als sie sich sehen. 

Der Deutsche händigt dem Amerikaner sein Handgepäck wie beiläufig aus und steigt in den Bus, um anschließend vom Flughafen aus zur amerikanischen Niederlassung von Heraeus zu fahren. Der andere Mann läuft weiter zu einem wenige Meter entfernt auf dem Rollfeld stehenden Flugzeug, das in einigen Minuten nach Florida starten soll. Bei sich hat er die kostbare Fracht aus Deutschland – der auf diese Weise der Gang durch den Zoll erspart blieb. 

„Es hatte nichts mit Sicherheitsgründen zu tun und auch ging auch nicht darum, Geld zu sparen“, erzählt Peter Hitzschke, der damals als Ingenieur bei Heraeus gearbeitet hat und an der Produktion eben jener Objekte beteiligt war, die sich in besagtem Köfferchen befanden: Der Grund für den spielfilmreifen Transfer sei schlicht gewesen, dass man durch das Umgehen des Zolls Zeit sparen konnte, „vier bis fünf Tage“. 

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Und Zeit war knapp bei diesem Jahrhundertprojekt, einem der größten der Menschheit überhaupt: Im Mai 1961 hatte US-Präsident John F. Kennedy vor dem amerikanischen Kongress verkündet, dass die Vereinigten Staaten noch vor Ablauf des Jahrzehnts einen Mann zum Mond und wieder sicher zurück zur Erde bringen würden. Diese Frist näherte sich nun dem Ende, und um es noch schaffen zu können, war an allen Stellen Eile geboten.

Das galt auch für den Inhalt des geheimnisvollen Handgepäcks – der am 16. Juli 1969 komplett mit Apollo 11 zum Mond fliegen sollte. Was aber befand sich so Wichtiges in der Tasche? Es handelte sich um 125 Prismen aus Quarzglas - 100 von ihnen sollten von den Astronauten als Reflektor auf der Oberfläche des Mondes platziert werden, 25 waren Ersatzteile. Auf diese Weise sollte erstmals die Entfernung zwischen der Erde und ihrem Trabanten gemessen werden, die man vorher allenfalls schätzen konnte. Seit Jahrhunderten schon hatten sich Wissenschaftler mit dieser Frage beschäftigt, auch in der 1687 von Isaac Newton veröffentlichten Gravitationstheorie spielte sie eine große Rolle.

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Auf die Idee, die Distanz mit Hilfe eines Reflektors präzise zu bestimmen, kam dann Ende der 1950er Jahre der Physikstudent James Faller an der Universität Princeton. Er stellte sich vor, von der Erde aus einen Laserstrahl auf den Mond zu richten, wo er auf einen Retroreflektor treffen sollte, der das Licht wieder zurück zur Erde schicken würde. So ganz überzeugt war er von seinem Modell allerdings offenbar nicht. Seine Arbeit versah der junge Mann am Rand mit der Notiz: „Professor Dicke, ergibt das für Sie einen Sinn?“ Es hat perfekt funktioniert, wie sich mehr als zehn Jahre später herausstellte.

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Der „Luna Laser Retro-Reflektor“, den James Faller ab 1963 an der Universität von Colorado weiterentwickelte und dessen Messungen er am Lick-Observatorium der University of California später selbst betreute, war eines von nur drei Experimenten, die von der US-Raumfahrtagentur Nasa für die Apollo-11-Mission ausgewählt wurden. Nicht allein der wissenschaftliche Nutzen, auch die einfache Handhabung und der geringe Aufwand sprachen für den Reflektor. Er nahm nicht viel Platz in der Raumkapsel weg, war nicht übermäßig schwer – man wusste ja vorher nicht, wie tief die Astronauten im Mondstaub einsinken würden -, ging nicht so leicht kaputt und konnte binnen weniger Minuten aufgebaut werden.

Wie genau hat man sich dieses Messsystem nun vorzustellen? Auf den ersten Blick sieht der Luna Laser Retro-Reflektor ganz unscheinbar aus: ein schräg aufgestelltes Metallgestell auf einer Bodenplatte. Das Entscheidende sind die Tripelprismen aus Quarzglas in seinem Inneren. Auf der Vorderseite eben, besitzen sie auf ihrer Rückseite drei zueinander in einem Winkel von 90 Grad stehende Flächen. Sie sind wie Augen auf unseren Heimatplaneten ausgerichtet. 

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Von der Erde aus schickt eine Bodenstation einen gepulsten Hochenergie-Laserstrahl zum Mond, wo die Prismen als Umkehrpunkt für das einfallende Licht dienen und es wieder zurück zur Erde schicken; ein Effekt, auf dem auch die Katzenaugen an den Fahrrädern basieren. 2,5 Sekunden benötigten die Photonen – Lichtteilchen – für Hin- und Rückflug und da man die Lichtgeschwindigkeit kennt, lässt sich daraus die Entfernung zwischen Erde und Mond ablesen: Sie beträgt im Durchschnitt 384.000 Kilometer, wie man seit Apollo 11 weiß. Die Distanz schwankt leicht, weil der Mond sich in einer elliptischen Bahn um die Erde bewegt.

Das Prinzip klingt einfacher, als es in der Praxis umzusetzen ist: Auf der langen Strecke zum Mond fächert sich der anfangs noch extrem kraftvolle Lichtstrahl wie ein Pilz bis zu einem Durchmesser von zwei Kilometern auf. Und vor allem erreicht nur ein geringer Bruchteil der ausgesandten Photonen tatsächlich den Reflektor, die Verlustrate beträgt zehn hoch 15. „Das ist, als müsste man am Strand ein Sandkorn finden“, veranschaulicht es Todd Jaeger, Leiter des Verkaufs bei der Abteilung Optik bei Heraeus Nordamerika und früherer Mitarbeiter der Nasa. Hinzu kommt: Wäre das Glas der Prismen auch nur ein bisschen verunreinigt, so würden die Lichtstrahlen nicht direkt zur Erde geschickt, sondern in die Tiefen des Alls gestreut.

Deshalb benötigte man für den Reflektor ein absolut klares, hochreines Material, eines, das zudem der Strahlung aus dem Weltraum und den extremen Temperaturschwankungen auf dem Mond von plus 135 Grad Celsius am Tag bis zu minus 150 Grad nachts trotzen konnte. All diese Bedingungen erfüllt Quarzglas. Es ist überaus widerstandsfähig und mit 99,9999 Prozent so rein, dass lediglich auf eine Milliarde reiner Teilchen ein verunreinigtes kommt.

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Heraeus war in den 1960er Jahren eine der wenigen Firmen, die diesen Werkstoff produzieren und daraus die geforderten Tripelprismen herstellen konnte; bis heute ist das Hanauer Familienunternehmen weltweit führend auf diesem Gebiet. Die Expertise geht bis in das Jahr 1899 zurück, als der einstige Heraeus-Chefentwickler Richard Küch mit einem Knallgasgebläsebrenner Bergkristall bei einer Temperatur von rund 2000 Grad Celsius schmolz und als Ergebnis Quarzglas erhielt. Ab 1955 stellte Heraeus unter dem Markennamen Suprasil Quarzglas aus Silicium und Sauerstoff dann auch synthetisch her. Anders als herkömmliches Glas, von dem es sich äußerlich kaum unterscheidet, kann man es auf unter minus 200 Grad Celsius kühlen und auf mehr als 1.000 Grad erhitzen, ohne dass es zerspringt. Quarzglas ist außergewöhnlich durchlässig. Selbst durch ein hundert Meter dickes Glas könnte man durchschauen als wäre es dünnes Fensterglas. Auch die Kuppel der Internationalen Raumstation ISS besteht daraus. Auf der Erde wird es unter anderem als Werkstoff in der Optik und der Lampenindustrie eingesetzt. Als Bestandteil von Glasfaserkabeln ist es unabdingbare Voraussetzung für das schnelle Internet.

Für den Reflektor auf dem Mond sei kein anderes Material infrage gekommen, sagt Gerhard Steiner, der bei Heraeus vor 50 Jahren für die Qualitätskontrolle der Tripelprismen verantwortlich war: „Es war die einzige Option.“ Wofür die Prismen genau verwendet werden sollten, war der Belegschaft damals allerdings gar nicht klar. Die Mitarbeiter hatten eine Ahnung, dass es um den Mond ging – aber dass die von ihnen gefertigten Stücke tatsächlich an Bord von Apollo 11 waren und anschließend von Astronaut Buzz Aldrin auf der Mondoberfläche aufgestellt wurden, wussten sie nicht, erzählt Gerhard Steiner.

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Erst etwas später sei ihm bewusst geworden: „Du hast ja jedes Stück selbst in der Hand gehalten. Diese Erkenntnis habe ihn mit Stolz erfüllt, und auch den anderen Mitarbeitern erging es nicht anders, als sie erfuhren, welche große Reise ihre Prismen angetreten hatten. Es sollte übrigens nicht bei diesem einen Reflektor auf dem Mond bleiben: Für die Apollo-Missionen 14 und 15 produzierte Heraeus weitere Reflektoren, dieses Mal, um die schwankende Eigendrehung des Erdtrabanten zu messen. Der nächste Reflektor soll Anfang der 2020er Jahre aufgestellt werden, wenn erstmals wieder Astronauten den Mond betreten. 

Der Ur-Reflektor nahm elf Tage nach seiner Installierung seine Arbeit auf, als die Astronauten von Apollo 11 längst wieder zu Hause waren. Der Grund: Kurz nach der Landung stand der Mond zu tief am Himmel. Am 1. August waren die Bedingungen günstiger. Seither wurden mit Hilfe der Prismen aus Hanau nicht nur die Kilometer zwischen Erde und Mond gemessen, sondern unter anderem auch Daten zur Schwerkraft und zu tektonischen Bewegungen auf der Erde gesammelt. Das Prinzip der Entfernungsmessung, wie es der Mondreflektor praktiziert, wurde außerdem wegweisend für die heutigen Navigationssysteme, auf die sich jeder Autofahrer gerne verlässt. Auch sie basieren auf einer Kommunikation zwischen Erde und All, in diesem Fall zwischen dem Computer im Auto und Satelliten in der Umlaufbahn, deren Entfernung genau vermessen wird, wie Ralf Takke, langjähriger Leiter der Abteilung Quarzglas bei Heraeus, erklärt.

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Ursprünglich war man bei der Nasa davon ausgegangen, dass der Laser-Reflektor zehn Jahre genutzt werden könnte. Heute, nach fünfzig Jahren, funktioniert er immer noch. „Wir Mitarbeiter waren immer überzeugt, dass er lange halten würde“, sagt Peter Hitzschke, der frühere Heraeus-Ingenieur. Zwar hat sich inzwischen eine Schicht Mondstaub auf den Prismen abgesetzt und beeinträchtigt deren Leistungsfähigkeit, das konnte jedoch durch bessere Laser ausgeglichen werden.

Dass der Reflektor arbeitet und das Licht immer wieder zurückschickt, belegt indes nicht nur die solide Arbeit des Hanauer Unternehmens, sondern auch, dass die Mission nicht in einem Hollywood-Studio gedreht wurde, was manche Verschwörungstheoretiker behaupten: „Es ist der beste Beweis, dass Astronauten oben waren und den Reflektor aufgestellt haben“, sagt Gerhard Steiner.

Der Technologiekonzern Heraeus hat seinen Hauptsitz in Hanau und 28 Standorte in 40 Ländern. Das Unternehmen wurde 1851 gegründet und ist bis heute in Familienbesitz. Die Wurzeln reichen aber noch viel weiter zurück auf eine seit 1660 von der Familie betriebene Apotheke. Zum Portfolio von Heraeus gehören heute Forschung, Entwicklung und Produktion in den Bereichen Umwelt, Energie, Elektronik, Gesundheit, Mobilität und industrielle Anwendungen. Aktuell beschäftigt das Unternehmen rund 15 000 Mitarbeiter. Heraeus verfügt über rund 6000 Patente und Patentanmeldungen. 

Aus Quarzglas stellte Heraeus zunächst Laborgeräte für die chemische Industrie her, auch in der Optik, zur Temperaturmessung und für Lampen wurde es verwendet, zum Beispiel für die „Original Hanauer Höhensonne“. Heute ist Quarzglas auch für die Herstellung von Lichtleitfasern für das schnelle Internet unabdingbar. 

In der Raumfahrt wurde Heraeus-Quarzglas nicht nur beim Laser-Reflektor auf dem Mond, sondern noch bei weiteren Projekten eingesetzt. So bestand das Herzstück im Satelliten der Mission „Gravity Probe B“ der US-Weltraumbehörde Nasa aus einem 53 Zentimeter langen Quarzglasblock, der mit einem Quarzglasteleskop verbunden war und vier tischtennisballgroße Kugeln aus Quarzglas enthielt. Zum Zeitpunkt des Starts im Jahr 2005 galten diese Kugeln, die sich 2000 Mal in der Minute drehten, als die rundesten Objekte, die je von Menschenhand geschaffen wurden. Ziel der Mission war es, einen Teil von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie zu beweisen. Demzufolge müsste die Masse der Erde die Raumzeit eindellen – wie ein schwerer Mensch es bei seiner Matratze tut. Tatsächlich bestätigten die Daten des Satelliten diese Theorie. Für das Projekt Gaia der europäischen Weltraumorganisation Esa lieferte Heraeus 2009 optische Bauteile, Linsen und Prismen für den Satelliten. Bei Gaia geht es um die Erstellung einer dreidimensionalen Karte unserer Milchstraße. Beim Gravitationswellendetektor Lisa der Esa befinden sich an Bord von Heraeus hergestellte Würfel aus einer Gold-Platin-Legierung. Eine Gravitationswelle, die auf einen solchen Würfel trifft, wird ihn minimal in Form und Bewegung verändern.

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